Forschungsklasse "Literarisches Übersetzen"
Lehrender: Prof. Dr. Stephan Köhn
Eine Arbeit als Übersetzer oder Übersetzerin von japanischer Literatur wird häufig als zentraler Berufswunsch von Studierenden der Japanologie geäußert, denn diese Arbeit bietet die einmalige Gelegenheit, sich auf sprachlicher und inhaltlicher Ebene weiterhin intensiv mit der japanischen Kultur zu beschäftigen. Doch wie zeitaufwändig und problematisch das Übersetzen tatsächlich sein kann, wird dabei häufig außer Acht gelassen.
In dem auf zwei Semester angelegten Lehrprojekt „Literarisches Übersetzen“ (SS 21–WS 21/22) wurden nun Studierenden des Masterstudiums die verschiedenen Arbeitstechniken und -schritte für das Übersetzen japanischer Literatur vermittelt: von der ersten wörtlichen Übersetzung bis hin zum publizierten Text in einer Fachzeitschrift. Ausgewählt für dieses Projekt wurde die Kurzgeschichte „Flussufer“ (Kawara 河原) der Schriftstellerin Ōta Yōko 大田洋子, die den Atombombenabwurf auf Hiroshima am 06.08.1945 selbst miterlebt und darüber in zahlreichen ihrer Erzählungen berichtet hatte. Ursprünglich sollte „Flussufer“ in der Literaturzeitschrift Shōsetsu 小説 im November 1946 erscheinen, konnte aber aufgrund der von den Alliierten Streitkräften verhängten Zensur erst im Februar 1948 publiziert werden. Die Geschichte ist von der bisherigen Forschung völlig unberücksichtigt geblieben, was eine Übersetzung im Rahmen dieses Projektes besonders spannend und reizvoll machte.
In den zwei Semestern wurde den Teilnehmenden deutlich, wie arbeitsintensiv die professionelle Übersetzungsarbeit im Grunde genommen ist. Zahlreiche Durchgänge waren letztlich erforderlich, um am Ende einen Text zu produzieren, der so nah wie möglich am japanischen Original war und gleichzeitig so natürlich wie möglich im Deutschen klang. Dabei wurde ersichtlich, dass das Ringen um das „richtige“ Wort im Deutschen häufig mehr Zeit in Anspruch nimmt als das Nachschlagen unbekannter Vokabeln oder Grammatikstrukturen im Japanischen. In einer guten Übersetzung steckt sehr viel Zeit – weit mehr als man auf den ersten Blick vielleicht vermuten würde.
Das Endprodukt des Lehrprojektes ist jetzt nachzulesen in der Fachzeitschrift Hefte für Ostasiatische Literatur, Nr. 73 (2022), S. 64–92.